Trier, 4:45 Uhr

Ich bin nicht sicher, ob ich diesen Roller schön finde. Ich fotografierte ihn als Andenken an eine Fahrt nach Trier sehr früh morgens. Dabei versuchte Paula mit wenig Erfolg einen Konvoi aus 15 Landmaschinen zu überholen, scheiterte pünktlich daran, die pünktlich abfahrende Bahn zu erreichen. Für mich nahm es ein gutes Ende – ich war sie am Ende doch einen Tag los und konnte zwei Maschinen Wäsche waschen, den Kühlschrank auswischen und den Radio Tatort hören. .

https://www.ardaudiothek.de/episode/ard-radio-tatort/dirk-laucke-ramsch/ard/10713477/

Obituarium Wikipediae

Da verkündet diese Internet-Seite alltäglich das Ableben von Menschen, die jemand für bedeutend hielt. Von den meisten habe ich noch nie gehört. 

Gab es aber die leisteste Information darüber, dass Kriminalhauptkommissar Vorderbäumen verstorben ist? Irgendeinen zarten Hinweis? Nix gab’s! Völlig unvorbereitet musste ich mich damit auseinandersetzen, als ich “Deutschland hat keine Pferde mehr” gehört habe. 

https://www1.wdr.de/radio/wdr3/programm/sendungen/wdr3-hoerspiel/deutschland-hat-keine-pferde-mehr-100.html

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Bei einem Undercover-Einsatz erlag dieser Vollblut-Kriminalist alter Schule einem Herzinfarkt. Im Fernseh-Tatort “Gut und Böse” habe ich ihn vermisst. Da hätte er gut noch kurz anrufen können, markig sein Nicht-Eintreffen verkünden, weil in Hamm wieder der Teufel los sei und man auf ihn nicht verzichten könne. Die Kollegen aus den anderen Städten NRWs hätten sich dann kurze Blicke zugeworfen und einer, vielleicht Faber, vielleicht Krusenstern, hätte “Hamm” gesagt und zur Decke geblickt. 

Dies hier sei sein Nachruf, wenn es keinen anderen gibt. Westfale war er, kantig und nicht einfach, ein Kämpfer gegen das Verbrechen und gegen die Altersdiskriminierung. Wenn niemand sonst, werde ich ihn vermissen. 

 

Tatort FAZ

 

Umso tradierter und hilfloser wirkt es, wenn die FAZ-Herausgeber und -Ressortleiter mit gravitätischem Stil gegen die Umbrüche der Welt anschreiben, als liesse sich der Wertekosmos einer analogen Öffentlichkeit einfach konservieren.

Adrian Lobe

https://medienwoche.ch/2019/10/24/70-jahre-faz-wo-die-herausgeber-regieren-wie-fuersten/?utm_source=pocket-newtab

Die FAZ ist also so etwas wie das gedruckte Pendant zum “Tatort”. Da ermitteln die Kommissare auch noch im Analog-Zeitalter, losgelöst von allen digitalen Realitäten. 

In der Dienststelle des Kommissars Haas gibt es sogar noch Kriminalassistenten, die sonstwo schon irgendwann in den 70ern ausgestorben wurden. Im fiktiven Bruck am Inn ging es derweil so analog zu wie selbst im realen Hagen nicht, wo ich gerade sitze. 

Der ungefähr letzte Fernsehtatort, den ich sah, schaffte den Spagat dann elegant, indem er die 80er in einer musealen Polizeiwache konservierte, die dann Schauplatz für eine Hommage an einen Film von 1976 ist, der eine Hommage an einen Film von 1959 war. Der Kommissar verliess diese cineastische Raum-Zeit-Blase dann durch die Kanalisation, dorthin, wo es wieder Mobilfunkempfang gab. 

Beide Kulturträger sollten sich allerdings schleunigst den geänderten Zeiten anpassen, weil sich sonst irgendwann nur noch ein alter Sack wie ich an sie erinnert. Der Wandel schläft nicht, er ruht nicht, und er lässt niemanden unberührt. 

Genau das aber nutzen die Werber, die für Milka arbeiten, geschickt für sich. Sie erfinden in ihren Werbespots eine heile, analoge Welt voller Wohlgeschmack, ganz kuschelweich und digital-feindlich, ein Märchen für Erwachsene. Die, die ich kenne, ziehen da “Schneeflittchen und die 7 geilen Zwerge” vor und kaufen ihre Schokolade bei Lidl.

https://www.netzkino.de/?fb_comment_id=990808874322408_1265086056894687#!/komodie/schneefickchen-und-die-sex-zipfelzwerge.html

Witzig könnte eine Tatort-Episode sein, bei der in den Räumen einer namentlich verfremdeten Zeitungsredaktion gemeuchelt wird. Der Ermittler müsste dann allerdings ein Digital Native sein, der sich immer wieder in die analoge Welt hinein denken muss.

Ein Kerl wie Vorderbäumen

Es ist dies die Zeit und der Ort eines stillen Helden zu gedenken. Wobei… still ist er selten, nicht einmal leise, schon weil er offensichtlich ein wenig harthörig ist.

Der Kriminalhauptkommissar Vorderbäumen ist zäh, verbissen und überraschend fit. Einst, einst versuchte ihn ein längst vergessener Vorgesetzer in den verdienten Vorruhestand zu verabschieden. War es 2008, war es 2007 oder sogar vielleicht schon 2006?

Niemand erinnert sich mehr anders daran als an den Auslöser eines Rechtsstreit epischen Ausmasses zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und Vorderbäumen, der Jurastudenten inzwischen beim Studium als Beispiel dient. Im Ergebnis leitet er weit nach dem Erreichen der Altersgrenze immer noch die Kreisfreie Polizeibehörde Hamm mit ihren drei Mitarbeitern, der einzige dort, der nicht ob charakterlicher oder intellektueller Defizite dort ist.

PPHamm

Er sollte uns allen ein Vorbild sein. Denn man kann die Rentenversicherung Bund entlasten, indem man früh stirbt – hier können Alkohol, Zigaretten, wilde Weiber und italienische Autos nützlich sein – oder indem man sich der Rente verweigert und einfach weitermacht, eben ein Kerl wie Vorderbäumen ist.

http://www.ard.de/home/radio/_Paradise_City__Jubilaeumssendung/4450772/index.html

CT

Zwei Stunden sollte man für eine Computer-Tomographie einplanen, natürlich ohne Parkplatz-Suche. In dieser Beziehung hatte ich den Vorteil, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Krankenhauses von Contiomagus einen Parkplatz für ihre Roller und Rollerinnen ausgerufen hatten, den ich ohne zu zögern benutzte.

Vom Ergebnis her kann die Schul-Medizin nichts für mich tun. Ich werde wohl (oder übel) in den nächsten 40 bis 50 Jahren sterben, voraussichtlich eher nicht an Nierenkrebs. Denn meine Nieren sind in einem ausserordentlich gepflegten Zustand, erste Hand sozusagen, da mit einem weitgehenden Kontaktverbot mit Alkohol belegt. Auch die Milz ist zwar gebraucht, aber sehr gut in Schuss, und die Leber hat nur einige minimale Zysten, in deren Behandlung die Ärztin weder für mich noch für sich einen Gewinn sah.

Heilfroh der Gefahr so billig entronnen zu sein, hörte ich mir im Wartebereich noch das Ende eines Radio-Tatortes an und dachte über die merkwürdige Erfahrung in diesem Apparat nach, der Bilder von meinem Inneren erzeugte und mir anordnete, wann ich die Luft anzuhalten und wann ich zu atmen hatte, während eine seiner menschliche Assistentinnen den Smalltalk übernahm und eine andere später die Ergebnisse für mich interpretierte.

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Latotzke meets Buffy

Von schlichtem Gemüt und laienhaft wirken unsere Polizisten, wenn sie die DNA vom einen Tatort zum anderen übertragen, die Existenz des Verbrechens erst feststellen, wenn der Täter es ihnen gesteht, und er ihnen am Ende an Krücken dann doch noch davon hinkt. Wäre ich mit dem Talent eines Schriftstellers gesegnet, beschriebe ich sie genau so in einem Revier am Rand von Berlin.

Und zugleich zeichnete ich sie als Dämonenjäger und Kämpfer gegen die Finsternis mit Plattfüssen, Übergewicht, Unterhaltszahlungen und magischen Fähigkeiten. In diesem Metier wären sie dann weitaus erfolgreicher als in dem, für das wir sie nach unserer Einbildung bezahlen, würden dabei dann immer wieder behindert von häuslichen Streitigkeiten im Hartz 4-Milieu, den Beschwerden älterer Damen über die lauten Nachbarn und den Notwendigkeiten, den einen oder anderen Rollerfahrer (übergewichtig, um die 50 und mit einer Peugeot Flash) zu kontrollieren und Mettbrötchen und Currywürste zu kaufen.

Das wäre dann so eine Art Crossover zwischen Buffy (oder vielleicht eher The Gothgirl) und Taskforce Hamm.

http://www1.wdr.de/radio/wdr3/programm/sendungen/wdr3-hoerspiel/task-force-hamm-110.html

http://www.bettinabusiello.com/books/

https://de.wikipedia.org/wiki/Polizistenmord_von_Heilbronn

https://de.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialistischer_Untergrund

https://de.wikipedia.org/wiki/Heilbronner_Phantom

http://www.n-tv.de/panorama/Was-gegen-eine-Ermittlungspanne-spricht-article18960936.html

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-10/uwe-boehnhardt-dna-peggy-knobloch-nsu-ermittler-fehler

Die Roten Wasser der Apokalypse

http://www.ard.de/home/intern/presse/pressearchiv/_Rote_Wasser____ARD_Radio_Tatort_im_November/2219448/index.html

In diesem Tatort spielt „Der dionysische Strom im Leben Nietzsches“ eine Rolle. Dieser wie die meisten deutschen Philosophen zu weitgehender Unverständlichkeit neigende Berufs-Denker übernahm von einem Vorgänger die Idee zweier Konzepte, die das Leben des Menschen bestimmen.

Dionysisch ist dabei der Rauschzustand, das Chaos, apollinisch die Ordnung, das Gesetz. Beiden gemeinsam scheint mir ein bewusster Verzicht auf die Kontrolle über das eigene Leben. Denn im Rausch entledige ich mich dieser Kontrolle völlig, sonst aber ordne ich mich dem Gesetz unter, übertrage diese Kontrolle also willentlich auf eine andere Instanz.

In welcher Weise sich in Nietzsches Auffassung und seiner folgenden Ablehnung des apollinischen Prinzips der Konflikt zwischen einer repressiven, immer noch religiös geprägten Gesellschaft und seiner Homosexualität ausdrückt, überlasse ich mit grosser Begeisterung den Fachleuten.

Meine Helden betrachten den Kontrollverlust von einem anderen, kraftvollen und eher amerikanischen Standpunkt aus. Corwin etwa entsagt in Zelaznys „Prinzen von Amber“ dem Thron und der Macht über ein komplexes Reich, um die Kontrolle über sein eigenes Leben zu gewinnen, sein Sohn Merlin besteigt den Thron aus dem gleichen Grund. Buffys Leben ist ein Zweifrontenkrieg, hier gegen Vampire, Dämonen und die Mächte der Finsternis, dort der darum, Herrin ihres eigenen Geschicks zu sein.

Als sie am Ende der Fernsehserie alle potentiellen Jägerinnen weltweit aktivieren lässt („Von jetzt an wird jedes Mädchen auf der Welt, das eine Jägerin sein könnte, auch eine Jägerin sein. Jedes Mädchen, daß die Kräfte haben könnte, wird die Kräfte haben.“), ist das übrigens eine Form asexueller Reproduktion.

In „Carmilla“ haben am Anfang weder Mircalla von Karnstein noch Laura Hollis wirklich die Macht über ihr eigenes Leben. Die so akzentfrei kanadisch sprechende Österreicherin steht unter der Herrschaft ihrer Mutter, die sie auch so nennt und nie mit einem Diminuitiv, ihre Zimmergenossin/Freundin/Liebhaberin hingegen unterliegt ihren eigenen Zwängen, die sie in jeden Kreuzzug zwingen, eine Kriegerin um des Krieges willen, mutig zwar, aber ohne Verständnis für den Preis, den sie am Ende zahlen muss.

Am Anfang von Staffel 3 hat Carmilla ihren Ablösungsprozess vollzogen und ist bereit, ihre Mutter nicht deswegen zu töten, weil sie ihre Mutter ist, sondern weil die ihr nach dem Leben trachtet. Laura allerdings steckt noch tief in einer Entwicklungskrise.

Und ich bin immer noch im Team Dean. Theo, Danny und die Aussicht auf die Apokalypse? Alle drei sehen verflixt gut aus, und das ist eine bekannte Tatsache.

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Bilderselbstversorger

„Ich habe kein Burn-Out, ich habe Fuck-Off.“

Thilo Reffert, Hundert vom Hundert

http://www.thilo-reffert.de/hoerspiel/radio-tatort/hundert-von-hundert

Niemals sähe ich mir im Fernsehen einen Tatort an. Es käme mir tatsächlich gar nicht in den Sinn, an einem Sonntagabend um 20:15 die ARD einzuschalten, um einen Kriminalfilm aus dieser Serie zu schauen. Sie läuft jetzt schon seit gut einem Dutzend Jahren, ohne dass ich ihr zuschaue. Bei meiner letzten Begegnung wäre ich versehentlich fast eine Szene gelaufen, während sie gefilmt wurde. Es wäre mir nicht recht gewesen.

Im Ergebnis sind mir die Namen der Kommissare unbekannt, unsicher bin ich der Drehorte. Ermittelt Lena Odenthal noch, von Leiche zu Leiche sich der Frühpensionierung nähernd? Das Internet wüsste es jetzt, ich nicht. Ich bin zu träge, um Google zu befragen, das globale Orakel des frühen 21sten Jahrhunderts.

Zwei andere Ermittler hat mir inzwischen die Toyota-Werbung näher gebracht, die Stadt, in der sie Morde aufklären, verschiedene Messereisen. Es ist übrigens eine ganz reizende Stadt, in der jedes Strassencafé von einem unaufhörlichen Strom junger Studentinnen auf Fahrrädern umspült wird, Heimat grosser internationaler Marken wie Armacell, Sparkasse Münsterland und Seppo.

Dafür kenne ich aber die Namen von Kriminalhauptkomissar a. D. Fischer, seiner Assistentin/Nachfolgerin Annika de Beer und Hauptkommissar Paquet und weiss, was einem blüht, der zur Task Force Hamm versetzt wird. Ich bin also mit dem Radio-Tatort in seinem verschiedenen Varianten vertraut. Er folgt im Wesentlichen dem seit 1970 bewährten Konzept der Fernsehreihe, passiert aber da, wo ich es will und vielleicht sogar brauche. Das ist halt nicht Sonntags um 20:15 Uhr im Wohnzimmer, sondern an einem beliebigen Wochentag zu einer gewählten Zeit in einem Pizza-Auto oder dem Keller der entsprechenden Pizzeria und zwischen „Hello from the Magic Tavern“ und „Tanis“.

Empfinde ich die Bilder, die mir das Fernsehen präsentiert, denn wirklich immer mehr als Eingriff in meine eigene Welt? Ich produziere mir meine eigenen Bilder, bin Bilderselbstversorger, auf Selbstversorgung umgestiegen, weil ich an allen Bildern, die von aussen kommen, etwas auszusetzen habe. Da ist mir der eine zu alt, die andere zu fortpflanzungswillig, der dritte aber ganz abscheulich. Das macht das Leben denn auch nicht einfacher.